Currency
Language
Toggle Nav
Call +49 2501 9288 320

We are pleased to assist you!

Free Shipping

From within Germany from 50 €

My Cart My Cart
Article Number
LXGLACHLZU

Carl Haffners Liebe zum Unentschieden

203 pages, paperback, dtv, 5. edition 2012, first edition 1998

€8.90
Incl. Tax, excl. Shipping Cost
Discontinued
Im Winter des Jahres 1910 steht die Schachwelt kopf. Der in Wien und Berlin ausgetragene Kampf um die Weltmeisterschaft nimmt in der fünften Partie eine unvorhergesehene Wendung. Der als unschlagbar geltende Titelverteidiger Emanuel Lasker, berühmt auch als Gelehrter und Philosoph, ist durch einen Fehler, den sonst nur Anfänger machen, in Rückstand geraten. Ins Schlaglicht des Interesses rückt nun plötzlich der Herausforderer - Carl Haffner. Der bis dahin kaum beachtete Österreicher ist ein Defensivkünstler, ein Meister des Remis. Jetzt bietet sich ihm die Gelegenheit, Lasker die Krone zu entreißen. Die zehnte und letzte Partie muß die Entscheidung bringen...
Thomas Glavinic, brillanter Erzähler und glänzender Psychologe, zelebriert die Auseinandersetzung dieser beiden Männer nicht auf den vierundsechzig Feldern zwischen a1 und h8, sondern als das Aufeinanderprallen zweier Lebensauffassungen, zweier unterschiedlicher Charaktere. Sein Roman ist ein kunstvolles psychologisches, soziales und gesellschaftliches Gemälde - eine literarische Königspartie.
More Information
EAN 9783423134255
Weight 180 g
Manufacturer dtv
Width 12 cm
Height 19 cm
Medium Book
Year of Publication 2012
Author Thomas Glavinic
Language German
Edition 5
ISBN-13 978-3-423-13425-5
Year of First Edition 1998
Pages 203
Binding paperback
Wollte Schlechter nicht gewinnen?
Was Verlage über ihre Bücher mitteilen, ist nicht immer richtig. Der Satz: "Ein Roman, der spannender ist als jede Schachpartie", gemünzt auf den Roman Carl Haffners Liebe zum Unentschieden, ist aber nur eine kleine Übertreibung.
Gewagteres steht im Begleitzettel: „Der Roman ist eine fiktive Biographie über [...] Karl Schlechter, im Buch Carl Haffner genannt, und stellt die provokante These auf, Haffner - Schlechter - habe die Weltmeisterschaftspartie gar nicht gewinnen wollen."
Im Buchinneren hat der Autor so etwas nicht behauptet. Autor Thomas Glavinic, 1972 geboren, kennt das Schachspiel seit seinem fünften Lebensjahr und brachte es 1987 bis zur Nummer 2 der österreichischen Rangliste seiner Altersklasse.
Daß Carl Schlechter „nach nichts trachtet, was ein anderer begehrt", wie Lasker einmal schrieb (in dem Artikel ging es um mögliche Herausforderer um den WM-Titel), und die Legende, daß Schlechter oft bessere Stellungen remis gab, „weil er seinem Gegner nicht weh tun wollte" - solche Charakterzüge arbeitet der Verfasser stark hervor, so daß man tatsächlich fast zweifelt, ob „Carl" am Brett wirklich gewinnen will.
Folgerichtig bildet die 10. Partie des WM-Kampfes gegen Lasker den Höhepunkt des Romanes. Dem Helden würde ein Unentschieden zum Gewinn des Titels genügen, ausgerechnet hier ist ihm ein Remis zu wenig. Mieses schildert in seinem Buch Carl Schlechter: „Aber Schlechters idealer Auffassung war der Gedanke unsympathisch, durch eine Remispartie die Weltmeisterschaft zu erlangen. ,Wenn die Partie von selbst remis wird, so kann ich das nicht ändern, aber auf Remis anlegen werde ich sie nicht,' erklärte er mir am Abend vorher."
Der Roman übertreibt es - das ist sein gutes Recht - mit der „Friedfertigkeit" Schlechters, übergeht den umkämpften Verlauf der Partien sechs bis acht und legt ihm in den Mund: „Nach einem weiteren Unentschieden hätte ich den Titel wirklich nicht verdient. Daher muß ich auf eine Entscheidung spielen."
Emanuel Lasker tat sich bekanntlich schwer damit, das „Problem Schlechter" am Schachbrett zu meistern. Er schrieb aber in der WSZ 1910 (S. 173ff.) über die Methoden Schlechters: Steinitz, Marshall, Dr. Tarrasch und Janowski hätten einen Hang zur Initiative, Schlechter aber lege das Hauptgewicht auf die Sicherheit und wähle lieber einen kleinen, sicheren Vorteil als einen eventuell größeren Vorteil, der nicht ohne Risiko zu haben sei.
Von einem Auf-Remis-Spielen kann also keine Rede sein, der Wiener bevorzugt nur eine eigene, selbstbewußte Methode, die allenfalls das Remis begünstigt, es aber nicht als Kampfziel anstrebt. Der „innere Widerspruch" bei Spielern vom Typus Schlechter ist nicht so groß. Mitleid ist unbegründet.
Wie sich diese Methode auswirken kann, zeigte der erste Wettkampf Carl Schlechters gegen Marco. Alle zehn Partien des Wettkampfes endeten mit Remis - damals eine Rarität. Jenes Match (1893) wurde von bösen Zungen als Geburtsstunde der „Wiener Schule" bezeichnet.
Daß Schlechter das Remis mehr liebte als den Sieg, kann nur ein Roman behaupten. Auf der Buchrückseite steht: „Carl Haffner hat sein Leben auf ein Spiel gesetzt. Zu gewinnen aber widerstrebte ihm. ... die Lebensgeschichte eines Mannes, der sich bis in den Tod hinein treu blieb."
Als Schlechter am 27. Dezember 1918 in Budapest starb, konstatierten die Ärzte als Todesursache ein durch die Wiener Unterernährung in der Kriegszeit (Lebensmittel waren seit 1916 rationiert) wieder aktiv gewordenes, altes Lungenleiden.
Für Romanautor Glavinic ist klar, daß Haffner/Schlechter verhungert sein muß. Es ist ein im Buch stetig wiederholtes Motiv, daß Haffner im Alltag nicht zurechtkommt. Daß er das Spazierengehen liebte, ist eine Tatsache. Aber im Roman stehen Passagen wie die folgende, die von dem rastlosen Turnierspieler und Schacharbeiter Schlechter nichts erkennen lassen: „Außer Atem setzte Carl sich ans Brett. [...] Carl hatte nahezu den ganzen vergangenen Tag auf der Straße verbracht. Die Kälte weckte ihn nach wenigen Stunden Schlaf. [...] Nun spürte er auch quälend den Hunger, den das Spiel unterdrückt hatte. Er konnte sich nicht einmal waschen, weil aus dem Hahn auf dem Gang kein Wasser floß. Ein Spaziergang mußte ihn wärmen." Als einmal das Honorar für die Herausgabe der Deutschen Schachzeitschrift eintrifft - laut Text „eine Überraschung" -, gönnt er sich „eine kleine Mahlzeit". Es grenzt fast an ein Wunder, daß Lasker nicht klar gewann.
Gerade das, was ich als Unstimmigkeiten empfinde, fesselt jedoch auch. Der konsequent durchgeführte Gedanke, die „friedliche" Spielweise Schlechters spiegele sich in dessen Leben wider, macht den Debütroman des Österreichers zu einem reizvollen Gedankenexperiment.
Außerdem hat der Leser das Vergnügen, die Welt des Wiener Schachs geschildert zu finden. Georg Marco (im Buch: Georg Hummel), Hugo Fähndrich, Paul Lipke treten auf, natürlich auch Dr. Emanuel Lasker.
Daß dieser während der 8. Partie von heftigen Magenschmerzen befallen war, und daß die Begeisterung im Saal bei Aufgabe Schlechters in der zehnten Partie gewaltig war („die Menge bevorzugte [Emanuel Lasker] zweifellos, weil Schlechter nichts Spektakuläres an sich hatte"), ist an anderer Stelle nachzulesen (Edward Lasker: Chess Secrets I learned from the Masters).
Stefan Bücker